Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Neue Helden braucht das Land

Neue Helden braucht das Land

Auszeichnungen: AT 1x Platin

CD: 2010 DE (Sony Music, USB-Stick mit Verpackung)

CD: 2010 EU (SonyMusic 88697 57003 2) (VÖ: 05.02.2010)

  1. Dummheit an die Macht [I]
  2. Rabatt, Rabatt [Single] [I]
  3. Ein Huhn
  4. Neue Helden (braucht das Land) [Single] [I]
  5. Baden in Aden
  6. Obama [Single] [I]
  7. Simsalabim (Die Esoterroristen) [I]
  8. Boshaft ist die Vogelschar [I]
  9. Nostradamus [I]
  10. Die Steirerwerdung
  11. Männer brauchen Tritte [Single] [I]
  12. Eloise & die Krise [I]
  13. Supertürke [Single]
  14. Toleranz [Single] [I]
  15. Stein der Weisen
  16. Hypochonder [I]
  17. Bitte Bier [Single] [I]
  18. Beim Csejtei im Hof [I]
  19. Wie schön (wär diese Welt)

Single-Auskopplungen und Videos [Übersicht]

Bemerkungen

Weitere Vorab-Informationen zu diesem Album gibt es in der Neue-Helden-Vorschau zu lesen.

Zu diesem Album konzipierte die EAV ein völlig neues Tour-Programm, das fast alle Lieder des Albums enthielt. Die dazugehörige Tour nannte die EAV „Neue Helden“-Tour.

Hintergrundinformationen zu diesem Album liefert Thomas Spitzer im Interview in der Podcast-Folge #8.

Rezension

Wenn es stimmt, dass der Mensch in der Jugend voller Wut ist und später im Leben Altersmilde wird, dann ist Thomas Spitzer (Jahrgang 1953) der Steirer Benjamin Button oder die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Zwar waren die frühen genialischen Werke der EAV „Café Passé“ (1981) und „Spitalo Fatalo“ (1983) keinesfalls milde, dennoch waren die Texte wohl ziselierte, mit feiner Hinterhältigkeit gedrechselte Stilett-Hiebe. Nur die Darstellung auf der Bühne war voller jugendlichem Ungestüm, diesen hat die EAV naturgegeben tatsächlich verloren. Politische Inhalte äußerten sich bei den Liedern von „Café Passé“ vornehmlich als Stilkritik, wenn beispielsweise der Verrat der politischen Ideen der 68er thematisiert wurde. Erst in „Spitalo Fatalo“ wurde die politische Kritik dominanter (zum Beispiel mit „Sofa“, „Balkan-Boogie“, „Total verunsichert“). Aber auch die in ironische Comic-Sprechblasen verpackten Boshaftigkeiten waren auf diesem Album präsent („Afrika“, „Alpenrap“). Sehr schnell verdrängte in den weiteren Album die comichafte Bildsprache das politische Kabarett. Bis heute ist diese Form der Gesellschaftskritik in einer auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Comic-Verpackung Stilmittel und Markenzeichen der EAV.

Nach über 30 Jahren hat die EAV jugendlichen Ungestüm und die Wirrungen der Pubertät zweifellos hinter sich. Es ist also keinem biologischen Anreiz zu verdanken, dass Thomas Spitzer wie entfesselt und voller Energie das Stilett ablegt und mit voller Kraft gegen alles vorgeht, was in der Welt schief läuft. Mit „Neue Helden braucht das Land“ hat er sein Thomas-Bernhard-Album abgeliefert. Das Stilmittel der ständigen Wiederholung von Schimpftiraden zu den unpassensten Gelegenheiten („Rauchen ist verboten“), das ständige Trampeln auf störenden, aber unwichtigen Nebenschauplätzen (Kochsendungen), der Hang zu ungewöhnlichen Wortgebilden („Trieb-Druide“, „Guruloge“) — all das erinnert an den großen österreichischen Schriftsteller und wortgewaltigen Misantropen. Spitzer und Bernhard haben sich mit der katholische Kirche („Nostradamus“) und dem Nationalsozialismus („Dummheit an die Macht“, „Beim Csejtei im Hof“) sogar dieselben „Lieblingsgegner“ für ihr Schaffenswerk auserkoren.

Die Parole des Albums lautet: politische Konfrontation, konkrete Aussagen statt abstrakter Analyse und viel Wut. Besonders typisch sind der Opener des Albums „Dummheit an die Macht“ und der Titelsong „Neue Helden braucht das Land“. Trotz gelungener musikalischer Umsetzung: Beide Liedtexte müsste man eigentlich ohne Musik und mit viel Wut im Bauch hastig vortragen. So wirkt der schwungvolle Rhythmus des Textes am eindringlichsten. Wie bei Texten von Thomas Bernhard. Die fast schon legendäre Suada auf die eigene Band im Interview mit dem österreichischen Magazin „Format“ sollte man dabei als Zugabe vorlesen. Besser geht es nicht.

„Alles ist schlimm“, so lautet die Devise des Albums, oder wie die burgenländischen Kollegen von „Ja, Panik!“ singen: „Alles hin, hin, hin!“. Anders als der auf dem Fenstersims im weißen Schießer-Feinripp lehnende mürrische Rentner sagt die EAV, was schief läuft. Die Songs scheinen in einem geradezu katharsischen Prozess aus Thomas Spitzer herausgebrochen zu sein, so gut passen sie zusammen, auch wenn sie sehr unterschiedliche Themen besprechen. Und was für Themen! Es sind Themen, die nach einem musikalisch-kabarettistischen Kommentar schreien und bisher in der Musikwelt sträflich vernachlässigt worden sind. Die „Geiz ist geil“-Mentalität zum Beispiel, die Qualität und Qualitätsbewusstsein zerstört und ganze Wirtschaftsbereiche zugrunderichtet, war schon lange einmal fällig. „Rabatt, Rabatt“ ist das erste Roadmovie ohne Bild und hat mehr Namedropping als eine ZDF-Produktion, quasi die Geburt des negativen Namedroppings.

Der geradezu unwirklich große Hoffnungsberg, den die Welt auf die Schultern von Barack Obama lud, animierte die EAV zu einem Novum in der Geschichte der Band: Ein positives Lied über einen Politiker, nicht ohne dabei seinem Vorgänger noch einige Tritte im locker-flockigen Country-Stil mitzugeben („Huschi-Wuschi-Bushi und Debakel-Präsident“). Das Schimpfen geht Thomas Spitzer leichter von der Hand, denn Georgie, dem „Debil-Fossil“, widmet er die besten Wortspiele. Der zweite Teil des Songs über Obama kommt an den fulminanten Start nicht heran. Dass die EAV die Geschichte von „God Bless America“ mit diesem Lied weitererzählt, war eine gute Entscheidung. Damit dürften die Stimmen, die die Kritik an George W. Bush in „God Bless America“ als Anti-Amerikanismus missverstanden, verstummen.

Generell fällt bei diesem Album auf: Es ist zwar konkret politisch, wie einige der ersten Alben der EAV, allerdings thematisiert es viel stärker als bisher vornehmlich Tagespolitik. Ob auch in zehn Jahren die Fernsehköche, die „Mr. Hope“-Welle und die Details der Finanzkrise (ganz zu schweigen vom Rauchverbot) noch so im Gedächtnis sind, dass man alle Lieder versteht, wird die Zeit zeigen. „Eloise & die Krise“ ist eine raffiniert konstruierte Abhandlung zur Krise in Form eines Dialogs mit einer naiven Gemüsehändlerin und ein gutes Beispiel für ein tagespolitisches Lied. An Eloise rauscht das Weltgeschehen auf dem treibenden Rhythmus des Lieds reitend mit hohem Tempo vorbei ohne freilich irgendetwas dagegen ausrichten zu können bzw. ohne das Ausmaß abschätzen zu können. Es wird ihr eingeredet, dass alles gar nicht so schlimm sei. Und wenn es doch schlimm wird, dann ist die Lösung auch gleich parat: „Und ist es nicht mehr Rucola, / dann essen wir den Rasen.“

Die Wut ist zwar eine kraftvolle Energiequelle für EAV-Texte und treibt Thomas Spitzer zur Höchstform, doch bei „Nostradamus“ schoss er übers Ziel hinaus. Es ist düsteres und lautes Klage-Geschrei über die katholische Kirche, in der er deren schlimmsten Auswüchse mit klaren Worten zurecht geiselt. Speziell die „Pius Brüder“ mit den antisemitischen Aussagen von R. Williamson und das erzkonservative „Opus Dei“ sind Pflichtthemen für das Lied, keine Frage. Doch Verse wie „Die Kirche steht am selben Platz wie der dunkelbraune Bodensatz“ oder „So lang Religion eine Droge ist bleibt jeder Glaubens-Junkie ein Terrorist“ sind unqualifizierte Verallgemeinerungen (oder zumindest kann man sie so verstehen), die leider dieses wichtige Lied auch angreifbar machen.

Dass die Texte auch vorsichtiger formuliert, aber trotzdem scharfkantig sein können, beweist „Supertürke“. Wäre das Wort „politisch unkorrekt“ nicht schon längst von rechtskonservativen Hasspredigern, die wahnhaft im Isam eine weltweite Terrorvereinigung sehen, vereinnahmt worden, würde es bei diesem Lied über Integration passen. Abgesehen von den ersten beiden Strophen, die sehr vorsichtig erstmal klarstellen, um was es im Lied geht, ist der Rest des Liedes ohne Schere im Kopf entstanden. Es wird das Bild des prototypischen „Duselmanen“, einem Macho, der Frauen wie sein stets aktuelles Handy behandelt und in Talkshows rumpöbelt, punktgenau gezeichnet. Klaus Eberhartinger kann hier seine schauspielerischen Fähigkeiten voll ausspielen und singt unterstützt von einem zweiten Sänger zu authentischen, schönen türkischen Klängen. Auch wenn die letzten Strophen den moralischen Zeigefinger ein bißchen zu hoch heben, macht die Pointe des Liedes alles wieder wett: „Frag nicht: Was denn, wie denn, wann? So steht's im Koran!“ Es ist falsch verstandene Toleranz, wenn man solch grundrechte-feindliches Verhalten mit dem Hinweis auf die Toleranz duldet.

Das nachfolgende Stück „Toleranz“ treibt die Gedanken zur Toleranz auf die Spitze. Zu Jazzklängen entspinnt sich ein Stammtischgespräch zwischen Thomas Spitzer und Paul Kindler (Sänger der Blech-Bixn-Bänd), das kein Klischee über Ausländer auslässt. Brilliant ist das und so nahe an der Realsatire, dass der Applaus von der falschen Seite nicht ausgeschlossen ist. Speziell der österreichische Rechtspopulist H. C. Strache, mit „dem rechten Sinn für's Flache“, wird besonders subtil zerlegt: „der da steht wie eine Wand / mit dem Kreuze in der Hand / aufrecht im Armani-G'wand.“. Ganz ernst wird die EAV bei der Ballade „Beim Csejtei im Hof“, die das Kunststück schafft, anhand des real existierenden Hotels „Csejtei“ in Feldbach (Steiermark) nahezu 100 Jahre österreichische Geschichte aus der Sicht der kleinen Leute zu erzählen. Ganz lakonisch und typisch österreichisch beiläufig.

Trotz aller politischen Anklage und neuer Ernsthaftigkeit hat die EAV den witzig-ironischen gesellschaftskritischen Song nicht verlernt. „Simsalabim“ ist ein Meisterstück dieses Genres. Vollgepackt mit zitierfähigen humoristisch konzentrierten Versen und musikalisch auf einem „Om“-Bett ausgelegt, ist die Abhandlung über den „Esoterrorismus“ das lustigste Lied des Albums und mit einem Ohrwurm-Refrain gesegnet. Allein, wenn der „Guruloge“ Laura empfielt, sich von „grobstofflicher Masse“ zu trennen, könnte ich immer wieder laut loslachen. Noch lustiger sind nur die Zwischenstücke, die diesmal allesamt grandios schwachsinnig sind. Bei „Hypochonder“ sticht der Text weniger hervor, die gesangliche Darbietung von Klaus Eberhartinger jedoch umso mehr. So gequält wie er zu den leichten Klängen singt, ist der gesamte Song ein großer Dauerspaß.

„Männer brauchen Tritte“ ist eine entspannte Swing-Nummer über machohafte Frauenversteher, die sich ganz unverhohlen textlich, musikalisch und thematisch an Roger Cicero orientiert ohne ihn zu nennen oder parodieren zu wollen. Man kann den Song fast schon als eine Hommage an Cicero sehen. Sehr ungewöhnlich für die EAV. „Und jetzt eine simple Zeile für den Mob der Hopfenmeile“: Es ist interessant, dass einer der besten Slogans des gesamten Albums gerade in diesem Lied über den Sauftourismus vorkommt. Denn das Lied schwankt zwischen nervtötendem „Bitte Bier“-Geplärre, einem unnötig gecoverten Gröl-Refrain und auf den Punkt passenden Versen. Von schlimm bis großartig ist alles in diesem Lied enthalten. Auf diesem Album mag einfach nichts so richtig schief gehen.

Resignation mit einem Fünkchen Hoffnung hört man in dem lamoyanten misanthropischen Abschiedssong „Wie schön (wär diese Welt)“, der mir schon so manches Tränchen abgerungen hat. Ein perfekter Abschluss nach so viel Häme. Und man kann ja noch hoffen: „Es ist noch nicht zu spät!“.

Insgesamt fällt auf: Seit „Café Passé“ war kein Album der EAV so nahe an der Theaterform, man meint fast, das Album sei für die Bühne geschrieben. Es ist ein großartiges Album geworden mit einer EAV, die sich das Stilmittel der direkten politischen Anklage zueigen gemacht hat. Weniger Angeber-Slogans und feingedrechselte Wortspiele, es zählt die Attitüde, die durch den kongenialen Gesang von Klaus Eberhartinger besser denn je rüberkommt. Auch wenn man bei all den kraftvollen Aussagen manchmal das hinterhältige Böse, das die EAV so perfekt beherrscht, vermisst, überwiegt die Freude über die so konsequente und kompromisslose Fokussierung auf (gesellschafts-)politische Themen. Ein EAV-Album ohne Nonsens, das gab es noch nie. Thomas Bernhard würde das Album sicherlich mit einem genüsslichen Verriss adeln.