Notizen über die allgemeine Verunsicherung
Titelbild des "Simplicissimus", Ausgabe 10/1

Simplicissimus

Was passiert, wenn Satiriker ihre kritische Grundhaltung aufgeben und die Distanz zu den Zielen ihrer Kritik und ihres Spotts verringern, lässt sich exemplarisch an der Geschichte der legendären politisch-satirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ (gegründet 1896) zeigen. Der Spott dieser Satire-Zeitschrift zielte vor allem auf das deutsche Bürgertum, die Kirche, die wilhelminische Politik und das Miltär ab. So gut wie alle namhaften zeitgenössischen Autoren und Illustratoren veröffentlichten im „Simpl“ Texte und Bilder, teilweise als Erstveröffentlichung (von Hermann Hesse über Hugo von Hofmannsthal bis zu Heinrich Mann). Auch der Kern der Redaktion war jahrelang mit dem Gründer Thomas Theodor Heine, Ludwig Thoma und Olaf Gulbransson namhaft besetzt.

Der „Simplicissimus“ setzte sich von jeher für die Demokratie und Anti-Militarismus ein, doch im Ersten Weltkrieg traten die Intellektuellen dieser Zeitschrift mit ihrer einstmals gefürchteten spitzen Feder zurück ins Glied. Sie trommelten für den Krieg und polemisierten gegen „die Russen“, „die Franzosen“ und „die Briten“ - sei es aus falsch verstandener Solidarität zu den Soldaten oder Anbiederung an den damals kriegsfreundlichen Mainstream. Einen der Tiefpunkte bildet das Heft 20/6 vom 11.05.1915 (die „Flottennummer“), welches sich thematisch dem Kriegstreiben widmet und sich militaristischen Spotts bedient. Beispielsweise steht unter einer Illustration mit zwei englischen Schiffen und einem deutschen Schiff: „Bloß zwei Dreadnoughts gegen einen kleinen Kreuzer - da greifen die Englischen noch lange nich an!“ (S. 71). In der Weimarer Republik versuchte der „Simplicissimus“ jedoch wieder zu seinen Wurzeln und seinen ursprünglichen Zielen zurückzukehren.

Fast alle regulären Ausgaben der Zeitschrift „Simplicissimus“ wurden im einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt archiviert, digitalisiert und online als PDF-Dateien gestellt. Wer sich für historische (und häufig auch exzellente) satirische Texte, Essays und Illustrationen interessiert, sollte unbedingt mal reinschauen.

Bei diesem Bild handelt es sich um das Titelbild der Ausgabe 10/1 des „Simplicissimus“ (Public Domain, entnommen aus Wikipedia). Der rote Hund ist das Markenzeichen der Satire-Zeitschrift. Die Beschriftung lautet ironisch: „Das ist das Hundevieh, welches so unsägliches Elend über unser Vaterland gebracht hat und von allen anständigen deutschen Wappentieren verabscheut wird.“

17.08.2007 — Autor: Alexander Mayer