Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Zum Tod von Anders Stenmo

Am 31.07.2023 vermeldete die österreichische Zeitung „Kurier“ eine traurige Nachricht: Anders Kjelt Gustav Stenmo, seines Zeichens Drehbuchautor und als Schlagzeuger und Bühnenakteur Gründungsmitglied der EAV ist im Alter von 67 Jahren verstorben.

Sein Leben war durch und durch das eines Künstlers: Schon als Jugendlicher baute er sich aus Waschmitteltrommeln ein Schlagzeug und übte darauf viel lieber mit seiner ersten Schülerband als für die Schule zu lernen. Die Prioritäten waren von jeher bei der Musik. Als er auf dem Gymnasium wegen „zu wenig Popmusik im Musikunterricht“ protestierte, ließ der Direktor seine Eltern zu sich kommen und legte ihnen nahe, ihren „linksradikalen Trotzkopf“ an eine andere Schule zu schicken. An einer anderen Schule angelangt war die Motivation für ein gutes Zeugnis schlagartig hoch, denn seine Eltern versprachen ihm bei guten Noten ein echtes Schlagzeug. Er legte sich mächtig ins Zeug und bekam dann tatsächlich mit 16 Jahren sein erstes Schlagzeug. Das Ziel war erreicht und schon war er eher in Caféhäusern und bei Bandauftritten gesehen als beim Lernen. Es war damals noch nicht abzusehen, welche weitreichenden Folgen für sein Leben sein Einstieg bei der Band „Antipasta“, welcher durch einen Tipp von seinem Freund Nino Holm möglich wurde, im Jahr 1974 haben sollte.

Trotzdem schaffte er irgendwie den Schulabschluss und hatte einen konkreten Plan, der nach jahrelanger Freude am Schlagzeug überraschend kommt: Er wollte an die Filmakademie und sich auf Regie spezialisieren. Da er aber die fotographischen Prüfungsaufnahmen für die Aufnahmeprüfung der Akademie noch nicht fertig hatte, studierte er ein Jahr Theaterwissenschaften. Das Studium an der Filmakademie hatte er dann zwar begonnen, aber letztlich nicht vollendet, weil er nach dem Ende von „Antipasta“ bei der Geburt eines neuen Projekts dabei war, das mit vielen Tourterminen und einer ersten LP seine vollständige Aufmerksamkeit erforderte: die Erste Allgemeine Verunsicherung.

Der EAV blieb er länger als viele andere seiner Gründungskollegen treu. Als er im Jahr 1998 einen Hörsturz erlitt, endete sein Engagement für die EAV leider sehr plötzlich zu Beginn der „Himmel & Hölle“-Tour. Nach der EAV-Zeit kehrte er zu seinen akademischen Wurzeln zurück und betätigte sich als Drehbuchautor. Besonders in Erinnerung wird seine Serie „Dolce Vita & Co“ bleiben, die als Nachfolger des legendären „Kaisermühlen Blues“ angekündigt wurde und damit in sehr große Fußstapfen treten musste. Die Serie wurde ein Erfolg und wird bis heute immer wieder im ORF wiederholt. Wenig bekannt, aber nicht zu vergessen ist, dass Anders Stenmo der Regisseur des Musikvideos zum Welthit „Live is life“ von Opus war. Das letzte bekannte künstlerische Schaffen von ihm ist eine Beteiligung im Chor bei der Coverversion von Wolfgang Ambros' Klassiker „Da Hofa“ von Freud.

Anders Stenmo war der stille Star der EAV. Es gehört zu den ungeklärten Geheimnissen der EAV-Geschichte, warum Anders Stenmo, anders als die anderen Gründungsmitglieder, nicht an den Tantiemen der Songs beteiligt war, sondern als „normaler“ Musiker pro Auftritt bezahlt werden wollte, obwohl er zweifelsohne wie alle anderen seinen Anteil an der Entstehung der Shows und Songs hatte. Vielleicht passt dies aber auch irgendwie ins Bild, wenn man sich seine Rolle in der Band etwas näher anschaut: Ebenso wie alle anderen Bandmitglieder war er kein Profi-Musiker, hatte aber dennoch eines den meisten voraus: Er spielte mit dem Schlagzeug das, was er seit der Jugend schon immer voller Begeisterung tat. Er spielte es nicht, weil es sonst keiner gemacht hatte, sondern weil er es konnte und gern spielte. Trotzdem hatte auch er wie viele andere in der Band einen akademischen Hintergrund in der visuellen Kunst. Als angehender Drehbuchautor und Regisseur wusste er, wie man auf der Bühne inszeniert und agiert. Nun ist das Schlagzeug nicht gerade das Instrument, das dazu dient, um sich in den Vordergrund zu stellen auf der Bühne. Vielmehr sorgt das Schlagzeug dafür, dass der Rhythmus stimmt, es gibt den Grundtakt vor, ist die Basis für die Musik und alles, was auf der Bühne passiert. Leider konnte ich Anders Stenmo nie persönlich treffen oder sprechen, aber die Eindrücke, die ich von ihm in vielen Interviews bekommen habe, zeichnen bei mir das Bild eines zurückhaltenden Manns, der sich emphatisch auf sein Gegenüber einstellen konnte. Vielleicht war also die Taktgeberrolle versteckt hinter einem Schlagzeug im Hintergrund für ihn genau die gewünschte Rolle? Und vielleicht entsprach die Bezahlung pro Auftritt anstatt einer Beteiligung an Einnahmen aber eben auch Verlusten seinem Naturell, weniger ins Risko gehen zu wollen?

Ein stiller Drummer war er aber keineswegs. Denn auf der Bühne wurde er zum Bühnentier. Da die Hände und Füße für die Trommeln reserviert waren, nutzte er sein Gesicht für immer wieder überraschende Grimassen und Gesichtsperformances. Und mit Hilfe von immer wieder anderen Requisiten wurde er zum Meister des Show-Schlagzeugs, womit er selbst die Flippers in den Schatten stellte: Mal hämmerte er mit einem Schaumgummi-Hammer auf eine arme Marschtrommel, mal spielte er den Rhythmus auf einem Schaumgummi-„Tschack“-Hut und seiner mit „Bumm“ beschrifteten Brust. Trommeln kann man auf alles, wie damals auf den Waschtrommeln. Und wenn er die Sticks liegen ließ und auf der Bühne als Hippie, Cinderella oder Was-weiß-ich-Figur tobte, war ich immer ganz hin und weg. Für mich war Anders Stenmo immer der „Monty-Python-Look-A-Like“ in der Band. Sein Knautschgesicht und seine „funny bones“ haben mich schon seit jeher an die legendären englischen Komiker erinnert. Als dann DoRo auf dem Neppomuk-Tour-Video das „Und nun zu etwas ganz anderem“ von Monty Python zitierten, fühlte ich mich in meiner Auffassung bestätigt: die EAV muss eine steirische Inkarnation der Monty Pythons sein und Anders Stenmo der von der Insel entsandte Geburtshelfer.

Endgültig im Leben ist nur der Tod. Und leider nutzt man erst solch ein einschneidendes Ereignis dafür, in sich zu gehen und zu überlegen, was nun vorbei ist und nie wieder kommt. Und was noch alles hätte kommen können, wenn der Tod nicht allem ein Ende gesetzt hätte. Zu gerne hätte ich Anders Stenmo einmal persönlich gesprochen. Ich hätte ihn gefragt, wie er seine Rolle bei der EAV verstand, welche Drehbuch-Projekte ihm noch vorschwebten, ob er gerne auch Regie bei EAV-Videos gemacht hätte und was für ihn das wichtigste im Leben war. Und all diese Belanglosigkeiten wären eigentlich nur das Mittel zum Zweck, um rauszufinden, wer dieser stille EAV-Star Anders Kjelt Gustav Stenmo denn so war. Und während ich nun zum Hörer greife und lange nicht mehr gesprochene liebe Menschen aus meiner Nähe einfach mal frage, was für sie das wichtigste im Leben ist und wie es ihnen geht, zeige ich Euch noch die schönsten Grimassen von Anders Stenmo. Farväl, Anders Stenmo!

Anders Stenmo Kollage

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 05.08.2023