Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Frauenluder

Frauenluder

Auszeichnungen: AT 1x Platin

CD: 2003 EU (EMI Austria 5840082) (VÖ: 28.04.2003)

CD: 2003 EU (EMI Austria, einfach bedruckte CD, gedrucktes Cover) [Promo]

  1. Frauenluder [I]
  2. Es tut weh und es tut gut (Bäng, Bäng)
  3. Element 1
  4. Unter den Bäumen
  5. Jugendschutz
  6. Mein Gott Intro (Taliban)
  7. Mein Gott [Single] [I]
  8. Element 2
  9. Swingerclub [I]
  10. Feiste Weiber [I]
  11. Bimsemann und Roggenkeil [I]
  12. Schnelles Geld
  13. Eierfranz
  14. Rumsti Bumsti
  15. Satanella [I]
  16. Erlkönig
  17. Ein Herz für Tiere [I]
  18. Esoterror

Single-Auskopplungen und Videos [Übersicht]

Bemerkungen

Klaus Eberhartinger erläutert, wie es zu diesem Album kam: „Als wir nun bei 'Frauenluder' den unsittlichen Antrag bekamen, etwas Ballermann-mäßiges zu produzieren, da haben wir gesagt, da hören wir lieber auf. Oder wir machen eben 'ne Platte, die mal primär uns gefällt, mit relativ wenig Kompromissen. Allerdings sind immer noch genug davon drauf.“

Die Promo-CD enthält Vorabversionen der Songs, die noch nicht fertig produziert sind. Es gibt ein paar kleine Unterschiede in der Produktion.

Dieses Album wird ausführlich in Podcast-Folge #5 besprochen.

Rezension

Wann geht es einem echten Helden richtig gut? Wenn er die Welt mit EAV-Zitaten nerven kann! Und mir geht es momentan richtig gut. Frauenluder ist die neue Portion Aufputschmittel - es zwingt mich zu missionarischen Kreuzzügen, zu Lärmbelästigungen: Ich schreie aus dem Fenster: „JA!“ - das ganze Volk muss die Botschaft der EAV hören - „Ihre Ausreise aus der Welt des schlechten Radio-Geschmacks ist bewilligt!“

Doch mal langsam. Am Anfang war das Cover, erschaffen von Thomas Spitzer und seiner kongenialen Tochter Anna Neumeister-Spitzer, es zeigt einen in provozierenden Farben gemalten Frauenkörper, dessen Scham von dem EAV-Logo bedeckt ist. Die EAV als das Feigenblatt der Gesellschaft (eine schlimme Platitüde, ich weiß)? Nein, die EAV will nichts verhüllen, sie will aufdecken. Das Interessante am Verstecken ist ja wohl das Finden! Und tatsächlich fallen die letzten Hüllen auf dem Album sehr schnell.

Die Overtüre „Frauenluder“ ist sicherlich nicht der beste Start für dieses Album, aber mindestens für die irrwitzige Schlußstrophe empfehlenswert: „Drum denket nach - und seid gerecht / alleine bumst's sich - schlecht“. Musikalisch wird schon hier klar: Tom hat die Gitarre ausgepackt. „Es tut weh und es tut gut“ ist die erste Überraschung: So entspannt haben wir die EAV noch nie grooven gehört, hie und da wird gegrönemeyert: „Frauen sind die bess'ren Krieger / schweigen die Gefühle laut / ritz mir bitte Deine Siege / nicht in meine Seelenhaut“. Im übrigen ist die „neue EAV“ sehr cool, sozusagen, ein „birth of the cool“. Die Jagd nach der „neuen Mitte“, dem Volk der modernen Radio-Hörer?

Wer denkt, die Blödsinns-Combo ist passé, der wird bei „Unter den Bäumen“ eines besseren belehrt. Abgesehen von der unnützerweise gecoverten Musik hört man hier die lustigsten „Klapphorn-Verse“ seit Karl Valentin. Mit „Jugendschutz“ meldet sich die „neue EAV“ relaxt wieder zurück, obwohl man die Doppelmoral nicht verhehlen kann: Wie man es bereits von der EMI gewohnt ist, ist auch „Frauenluder“ mit einem Kopierschutz versehen.

Der 11. September 2001 als Take-Off medialen Overkills, bis zur Galle ausgekotzt, ist nach eineinhalb Jahren sicherlich vermintes Terrain, leicht gerät man in die Gefahr, lediglich die Floskeln der (von dem genialen Max Goldt als „Kommentatorenwichsmaschinen“ betitelten) Kommentatoren zu wiederholen. Trotzdem wagt es die EAV mit „Mein Gott“ und gewinnt: Ich mag zwar eigentlich das Wort „provokativ“ nicht, aber wie würde man sonst eine Strophe wie „Mach Dir Deinen eigenen Gott / so wie er Dir gefällt / [...] / setz ihm einen Turban auf / und wenn er nicht den Säbel schwingt / nagel ihn an's Hackenkreuz / bis er's bringt“ charakterisieren? Oder: „Gebt den Pfaffen Biowaffen / damit sie Ordnung schaffen“. Sakrament, das ist ganz schön scharfzüngig! Untrennbar mit diesem Track ist auch das Lied „Schnelles Geld“ verbunden, das abgesehen von dem monotonen und nervenden Refrain textlich noch ein paar Scheite drauflegt: „Besoffen von Betroffenheit / rotiert die ganze Welt / Herr BIN hat sich entLADEN / ins Herz vom großen Geld / im kollektiven Trauermarsch / marschieren alle mit / dagegen war der Balkankrieg / kein allzu grosser Hit“ - brilliant!

In „Swingerclub“ schaut die EAV wie gewohnt ganz genau den Menschen zu und erzählt davon, hier allerdings ganz ohne Routine: Der Pointendurchsatz ist enorm hoch, der Text stilistisch vom Feinsten, alles in allem einfach wahnsinnig witzig. Gepflegt rocken hörte man die EAV seit Küss die Hand Herr Kerkermeister nicht mehr, jetzt sind die Gitarren wieder da und zwar richtig heftig bei „Feiste Weiber“. Da wünscht man sich lange Haare für's moschen und einen stabilen Körper für's pogen. Mein Traum: stage diving auf einem EAV-Konzert. Geht aber vermutlich nicht, da in der ersten Reihe immer die Kinder sind.

Die Texte von Thomas Spitzer waren immer schon hervorragend, aber mit „Bimsemann und Roggenkeil“ hat seine Reimkunst einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Wem Wilhem Busch dabei einfällt, der liegt richtig. Gute Entscheidung: Auch die Stimme des Sprechers passt wie die Faust auf's Auge, die musikalische Untermalung tut ihr übriges. Ähnlich gut ist auch „Eierfranz“, die Gitarrenpop-Hymne auf das Mittelmaß, die „Bohemian Rhapsody“ des Opportunisten, mit der unübertrefflich genialen Passage: „Und hör ich einen Judenwitz / der zwar verboten ist / dann lach ich nur ganz heimlich / weil ich bin kein Rassist“. Bewegen wir uns nun mit „Rumsti Bumsti“ thematisch auf unterstes Niveau, nämlich in das Porno-Geschäft. Auch hier glänzen einige Textstellen ganz besonders, beispielsweise wenn es um die „Gretchenfrage“ geht. „Satanella“ groovt wieder poppig durch die Lautsprecher. Zu guter Letzt zeigt die EAV, dass sie nicht alle Traditionen über Bord geschmissen hat: Das von mir besonders geliebte Wiener-Lied zum Schluss finden wir auch auf diesem Album in Form von „Herz für Tiere“. Auch hier blitzt der unvergleichliche österreichische Fatalissmus in Reinkultur auf.

Was bleibt abschließend noch zu sagen? Die EAV pflegt wieder den Pop! Bis auf wenige Ausnahmen („Das schnelle Geld“, „Unter den Bäumen“) sind die Lieder eingängig und verspielt arrangiert, mit „Eierfranz“ hören wir zum ersten Mal echten Gitarrenpop von der EAV. Manchmal taucht sogar das eine oder andere Sample auf. Sicherlich ist mancher Refrain eher schwach („Mein Gott“) und das Album vielleicht zu geradlinig produziert („weichgespült“), aber das kennen wir ja bereits. Außerdem war die EAV ja noch nie eine Indie-Pop-Band. Und die Texte? Sehr gut, streckenweise brilliant.

Wie? Was? Du meinst, ich übertreibe? Das sei doch nur ein EAV-Album? Du hast recht. Aber es ist einfach gut. Möge die Welt diese CD kaufen und glücklich werden!

(Meine ungefilterten Gedankenblitze zu Frauenluder kannst Du im Hörprotokoll nachlesen.)