Notizen über die allgemeine Verunsicherung

2021 war jetzt vorbei, ist mir aber egal

Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen! Falls Du hier einen Jahresrückblick erwartest, muss ich Dich enttäuschen. Normalerweise würde hier ein riesiger Absatz beginnen mit einer skurrilen Anekdote, einer kleinen falschen Finte, um den Leser zu überraschen, oder einer wilden sprachlichen Spielerei. Heute jedoch: nichts. Nada. Gar nichts. Ich gebe auf. Niemand liest mehr längere Texte. Niemand informiert sich bei seriösen Quellen. Alle machen es so, wie ich es in diesen Jahresrückblicken immer gemacht habe: sie picken sich die Meldungen raus, die gerade in ihr Weltbild passen. Sie picken sich kleine Ungeschicklichkeiten, unbedachte Äußerungen oder Versprecher von Politikern raus und machen daraus einen Skandal oder die große Weltverschwörung. Wenn ich das tat, meinte ich es satirisch-ironisch, irony jedoch is over todayzutags. Und Medienkompetenz war noch nie die Stärke der Generation A bis X. Der eine lacht zum falschen Zeitpunkt, die andere hat ihren Lebenslauf wie jeder andere Social-Media-Spezi auch in den schillernsten Tönen, die gerade noch aufrichtig sind, erscheinen lassen und nicht daran gedacht, dass pingelige Erbsenzähler und Kleingeister jedes Wort auf die Goldwaage legen würden. Wer Freude daran hat, nachzurecherchieren, welche Abschlüsse in welchem Land wie anerkannt werden, hat kein Leben, kann sich aber daran aufgeilen, eine Wahl beeinflusst zu haben. Und dass eine Politikerin nicht selber ein politisches Buch schreibt, ist eine Sensation für Euch? Really? Nein, ich will keine Zitate verlinken, keine Artikel mit kleinen skurrilen Geschichten, die ach so spannende Erkenntnisse bringen sollen, obwohl sie eigentlich nur das sind, was sie sind: skurille Geschichten ohne Bedeutung. Ich poste nur noch gute Musik und Laune machende Videos. Und nein, ich schreibe auch nicht über die Pandemie. Ich möchte nicht diskutieren mit Impfgegnern, die von Freiheit, Demokratie und Diktatur fabulieren, während viele andere Menschen auf dieser Welt in Diktaturen oder Kriegsgebieten leben müssen. Wir leben in einem freien Land. Auf dem freien Land könnt Ihr weiter Eure von den Großeltern geerbten Felder teuer verpachten, vor Eurer landschaftsgärtnerisch frisch gepflasterten 500 qm Hoffläche für jeden in der Familie einen SUV parken, das Holz Eures eigenen Waldes verfeuern und das hohe Lied der Freiheit singen. Und auf dem Weg in der 1. Klasse von Stuttgart nach Berlin zum Vater, der dort einen Abteilungsleiter-Job bei einer Versicherung hat, könnt ihr Euren maserngeschädigten Kindern ruhig weiter Globoli geben und Mondscheinwasser trinken. Wer keine Probleme im Leben hat, macht sich welche. Wer nur Feld rund ums Haus hat, hat Angst vor Zuwanderung. Wer quasi Selbstversorger auf dem Land ist und meint, auf nichts und niemanden angewiesen zu sein, hat Angst vor Gesetzen und Regeln. Nein, die Freiheit, die ihr meint, ist einfach Egoismus. Gesetze und Regeln benötigen wir, um miteinander friedlich leben zu können. Die Freiheit endet dort, wo andere zu schaden kommen. Und wenn ihr etwas Gemeinschaftssinn hättet, würdet ihr mitmachen. Aber ich möchte hierüber nicht mehr diskutieren. Die Wissenschaft hatte mit allem Recht in der Pandemie, wir haben ihr vertraut und sie hat uns nicht enttäuscht, sie hat uns gerettet. Jede Gemeinschaft muss es aushalten, dass nicht alle mitmachen. Wir müssen alle für die Fehler dieser Minderheit zahlen, aber wir werden es akzeptieren müssen, auch wenn es uns das Herz bricht, dass ihr es nicht versteht. Wir lieben Euch trotzdem. Und ein Gutes hat das ganze für die Mehrheit der Gesellschaft: man bekommt tagtäglich bestätigt, dass man Recht hat und kann den Impfgegnern zuschauen, wie sie tollpatschig von einem Irrtum zum nächsten torkeln. Man könnte auch sagen, dass sie es auf die harte Tour selber lernen. Erst leugneten sie überhaupt, dass es das Coronavirus gibt, weil sie glücklicherweise noch niemanden kannten, der oder die betroffen war. Dann kamen die Einschläge immer näher, dann konnte man es nicht mehr abstreiten. Dann wurde das Lied gesungen, dass es ja nur eine normale Grippe wäre und das Immunsystem auf natürliche Weise damit zurecht kommen müsse. Und wenn man sich dann ansteckte, lag man dann doch einige Wochen komplett flach oder musste (Gott bewahre) ins Krankenhaus. Und die Monate danach hatte man dann mit Kopf- und Gliederschmerzen oder schlimmerem zu kämpfen, verlor Geruchs- oder Geschmackssinn und konnte sich damit immerhin immer wieder mehrere Wochen krankschreiben lassen, um mehr Zeit in der Telegram-Gruppe der Impfneurotiker sich über das Recht auf Unversehrtheit des Körpers, zumindest dem was noch unversehrt ist, auszulassen. Nein, das sind keine Themen, über die ich Witze machen möchte. Das sind keine Themen für einen Jahresrückblick. Gerade Bayern, Österreich und die Schweiz sind besonders notorische Verweigerer der Realität. Und genau das sind die Hochburgen des Kabaretts, des anarchistischen Humors. Deshalb ist mir schlagartig klar geworden, welche Funktion Kabarett und Satire in der Alpenregion hat: es geht nicht, um logisch zu denken und Fehlentwicklungen an den Pranger zu stellen. Das Publikum möchte einfach nur Hofnarren sehen, die gegen „die da oben“ sprechen. Es geht nicht um die Inhalte. Satire ist somit offiziell tot. Satirische Jahresrückblicke sind tot. Ich jedoch lebe glücklicherweise und zwar gesund, in Freiheit und mit viel Freude am Leben. Prosit, Neujahr!

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 02.01.2022