Notizen über die allgemeine Verunsicherung

2015 war jetzt vorbei

Auch wenn das Bundesamt für die Abwehr ausländischer Flüchtlinge komplett überfordert ist und mit ihrem bürokratischen Apparat mit Methoden aus der willhelminischen Zeit mehrere Jahre pro Fall braucht: Die „Polizeidienststelle Schubwesen“ hat die Abschiebekarre fest im Griff, Minister Schäuble möchte die Grenzen zumachen und die Bild-Zeitung titelt das, was besorgte Bürger laut denken: „Leben in unseren Städten irgendwann mehr Asylbewerber als Deutsche?“. Nur die von Landespolitikern geforderten Grenzlager werden wohl nicht gebaut, da die dagegen rebellierenden lokalen Bürgerinitiativen doch etwas lästig sind. Und das einzige, das Opposition und Regierung gemeinsam geschafft haben, ist etwas Kompromiss genanntes Faules: Die Ja-Aber-Verweichlichung des Grundrechts auf Asyl. All das berichtete DER SPIEGEL am 9. September 1991. History Repeating? Nur gut, dass man aus der Vergangenheit gelernt hat und diesmal alles anders ist: Im Jahr 2015 brauchte es keine Diskussionen um mühsame Kompromisse, stattdessen haucht der effiziente eiskalte Hauch der GroKo ein weiteres Stück Herzenswärme aus dem Asylrecht ohne Diskussion und lästige Opposition. Und zum Abschied streichelt das eiskalte Händchen von Merkel jedem abgeschobenen Flüchtling persönlich die Tränen aus dem Gesicht. Es sind andere Zeiten geworden: Heutzutage hat man als anständiger Politiker wenigstens ein schlechtes Gewissen beim Abschieben von politisch Verfolgten in ihre unsichere Heimat, die per bürokratischer Definition zu einem „sicheren Herkunftsland“ gemacht wurde. Natürlich hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man an Diktatoren und Schurken schweres Kriegsgerät verkauft. Aber die Wirtschaft, nun ja, darf nicht unter dem vermaledeiten Frieden leiden. Und zur ausgleichenden Gerechtigkeit muss man eben Verständnis für Rassisten, die Flüchtlingswohnheime in Brand stecken, haben. Denn diese besorgten Bürger haben ja nur „Angst vor Flüchtlingen“, das muss man doch verstehen! Es ist dies die Logik des kleinen Biedermannes, der mit dem Zündholz in der Hand Angst vor Straftaten von Flüchtlingen hat, die nicht real sind, und deshalb Straftaten gegen Flüchtlinge begeht, die real sind. Flüchtlinge am Rande der Gesellschaft. Und am Rande des Landes in Lagern konzentriert. Wenn dann auch noch eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen eingeführt wird, steht der bayerische Gouverneur Horst Seehofer höchstpersönlich an der Grenze mit einer G36 und schießt in Notwehr auf die, die zu viel sind (aber maximal 100 Schuss)? Alles andere wäre eine „Kapitulation vor der Realität“. Wo wären wir denn, wenn wir uns von der Realität alles vorschreiben lassen? Wir hätten kein Betreuungsgeld! Wir hätten keine PKW-Maut! Die Realität war früher sowieso besser, nach der dritten Staffel habe ich sie aufgegeben. BAMF! Was früher eine Sprechblase in Batman-Prügelszenen gefüllt hätte, ist heute auf Wegweisern in der ganzen Republik zu sehen, denen die Generation Smartphone aus dem Morgenland zu Fuß folgt. Heiliges Google Maps! Flucht und Segen zugleich. Oder ist die Realität etwa ein Comic und werden deshalb Karikaturisten und Satiriker ermordet? Ein Comic, in dem ein demokratisch gewählter Provinzfürst einen Rassisten und angehenden Diktator als den „lieben Viktor“ begrüßt und als Vorbild ansieht? Ein Comic, in dem ein absolutistischer Kirchenfürst und oberste Moralinstanz Eltern den Tipp gibt, ihre Kinder zu schlagen? Viel zu unrealistisch! Die Realität ist vielmehr der schnauzbärtige Vorstand des Burschenvereins, der seine Frau nach zehn halbe Bier nur versehentlich schlägt und von Vergewaltigungen von blonden deutschen Frauen durch Flüchtlinge erzählt, von denen er von irgendwo her gehört zu haben meint. Die Realität ist auch die Buchhändlerin, die immer mit der geblümten Schürze in ihrem Laden steht, den auf dem Schulweg bei ihr vorbeigehenden Schulkindern täglich die Leviten liest und nichts gegen Flüchtlinge habe, aber halt nicht in ihrer Nachbarschaft, weil sonst die von ihrem verstorbenen Ehemann (Gott hab ihn selig) erbaute Doppelhaushälfte mit frisch angeklebtem Styropor-Dämmschutz an Wert verliert. Und außerdem können die gar nicht so hilfsbedürftig sein, weil die alle iPhones haben, mit dem Taxi durch die Gegend fahren und auch noch mehr Geld als Hartz-IV-Empfänger in den Rachen geworfen bekommen. Die Realität ist der Kleingeist, die Angst des kleinen Mannes und der winzigen Frau, die schon aufsteigt, wenn jemand eine andere Sprache spricht, eine andere Hautfarbe hat oder eine andere Religion ausübt. Ganz normale besorgte Bürger, die überall Minarette befürchten. Und wenn die Islamisierung des Abendlandes so weitergeht, rechnen wir wohl zukünftig mit arabischen Zahlen! Aber anstatt ihnen die Angst mit Fakten und Erklärungen zu nehmen, werden die Ängste von der Politik weiter geschürt. Das ist die Realität. Die Realität ist Pauschalisierung und Pauschalisierung führt zu Rassismus. Straftäter gibt es überall, Arschlöcher gibt es überall, Rassisten gibt es überall, egal welcher Nationalität. Aber Entspannung! Wie schon der große Meister-Philosoph Eder postulierte, sind Idioten das Schmiermittel der Gesellschaft oder um es mit seinen weisen Worten zu sagen: „Es muss auch Blöde geben“! Das Schlimmste bei der ganzen Flüchtlingsthematik ist: Alle Hoffnung ruht auf Angela Merkel, die zur Abwechslung mal etwas gewagt hat, was nur Bob, der Baumeister gewagt hat: Wir schaffen das! Und kein „aber“ hinzugefügt hat. Wir machen es diesmal hoffentlich besser als Anfang der 90er. Ja, sie kommen wieder, die 90er: Der Russ' ist wieder da! Put-Put-Putin tut alles, damit wir wieder ein vernünftiges Feindbild haben und James Bond wieder ordentliche Bösewichte als Vorlage bekommt und nicht mehr eigene Familienmitglieder bekämpfen muss. Und wenn das thematisch nicht reicht, könnte er einen rein fiktiven Fall bearbeiten, bei dem im neuen Geheimdienstgebäude die Wasserhähne gestohlen werden. Im actiongeladenen Finale begibt er sich dann auf die Suche nach dem Nazi-Gold-Zug, in dem Sepp Blatter die Weltherrschaft an sich reißen will. Franz Beckenbauer, ein weiterer bekannter Protagonist aus den 90ern und Autor von bescheidenen Büchern wie „Einer wie ich“ und „Ich - Wie es wirklich war“ hingegen taugt höchstens für den Typus Bösewicht, der kurz nach dem Vorspann umgenietet wird und sich als ein enttäuschend schwacher Handlanger des Oberbosses entpuppt, der von nichts weiß. Fast so enttäuschend wie der Milchbubi, der sich im neuesten Star-Wars-Film hinter der lächerlichen Darth-Vader-Lookalike-Maske verbirgt. Nicht jeder ist zu einem Schurken geboren. Selbst unseren Geheimdiensten gelingt es nicht, die oberste Regel zu befolgen: Sich nicht erwischen lassen. Wer soll's ihnen nachtragen, wenn sogar die eigentliche Macht im Staat, die Hersteller von motorisierten Kutschen, mit einem bedauerlichen Versehen in die Schlagzeilen geraten. Clean Diesel anstatt Energiewende, lieber Millionen in Lobbyarbeit stecken als in die saubere Technologie der Zukunft investieren. Aber das Problem erledigt sich von selbst, denn in zehn Jahren wird die deutsche Autoindustrie nur noch Stinkekarren für die aufstrebenden dritte Welt bauen, der Rest der Welt fährt Apple Cars, die stylisch aussehen, aber nur 100km weit fahren können und immerhin seit dem letzten Software-Update keine Unfälle mehr verursacht haben. Die ewige Kanzlerin Merkel wird dann im Jahr 2025 nach der erfolgreich bewältigten Flüchtlingsthematik das neue Motto ausrufen: „Wir werden alle störben!“ Prosit, Neujahr!

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 18.01.2016