Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Pressefoto: (c) Andreas 'Bär' Lasker

Phrasenmäher: 9 Hits, 3 Evergreens

Die Band Phrasenmäher zu beschreiben ist ein komplexes Unterfangen, das mich auf ihrem Konzert in München grübeln lies (23.02.2014, Kranhalle). Und während ich überlegte, mit welchen wenigen Worten man Phrasenmäher auf einen Nenner bringen könnte, schubst mich ein Mädl mit Aufkleber „Hochklappdings“ auf der Stirn an und fragt mich, ob ihr Lieblingslied schon dran war. Die Mädels vor mir schien jedoch die Boygroup auf der Bühne mehr zu interessieren als die Setlist. Der Rest des Publikums amüsierte sich derweil bei den improvisierten Moderationen zwischen den Songs, in denen Jannis Kaffka den deprimierten, sensiblen Frontmann mimte und mehr Herzenswärme vom Publikum einforderte. Viel nachdenken konnte ich nicht, denn die musikalische Stilvielfalt von Swingklang über sauberen A-Capella-Dreigesang, Sch-Sch-Sch-Shanty, Rammstein-Reggae, theatralischem Tango-Tanz-Trara bis zu ganz pudeligem Poprockpalaver lässt einen ob des Kreativitätsschwungs ganz schwumelig werden. Garniert wird diese Vielfalt von raffiniert-witzigen Texten, die nicht nur ebenfalls stilistisch höchst variabel sind, sondern bei den besten Songs wunderbar feinsinnige Geschichten erzählen und herzerwärmende Figuren zeichnen.

Wie kann man dem breiten Talent der Band mit einer Rezension gerecht werden? Man muss es ihnen gleich tun und alle Facetten und Stile in der Rezension vereinen! Meine sehr geehrten Damen und Herren, es folgen nun 9 Rezensionen des neuesten Studioalbums von Phrasenmäher mit dem Namen „9 Hits, 3 Evergreens“ (Sony Music, 2014) aus verschiedenen Blickwinkeln:

Die super-süße Boyband-Rezension

Phrasenmäher — der Hammer! Jannis Kaffka ist das coole, aber unter der ironischen Schale bestimmt mega sensible Frontschwein. Seinen süßen Bruder Lenne Kaffka möchte man ständig knuddeln und durch das kuschelige Haar wuscheln. Und bei Martin Renner mit der schicken Mütze möchte man gerne rausfinden, mit was er sonst noch so alles sensibel umgehen kann außer den Drumsticks. Und das neue Album ist echt chillig!

Die ironisch-distanzierte Studentenband-Rezension

Ach, was waren Phrasenmäher damals vor 10 Jahren noch gut, als sie nicht so kommerziell waren und mit „Hochklappdings“ den Soundtrack für jede Ersti-Party bildeten und sich ihr Radio-Hit „Im Sog der Breitnis“ u.a. im Südwesten Deutschlands wie die Nachricht über ein Seminar, in dem man sich nur einmal in eine Liste eintragen muss, um den Schein zu bekommen, durch alle Wohngemeinschaften verbreitete. Doch nun sind sie (erstmals mit großem Vertrag bei Sony) dem Größenwahn verfallen und nennen ihr neuestes Album „9 Hits, 3 Evergreens“. Produziert wie Lady Gaga und mit einer auf Hittauglichkeit runtergedampfen Single „Sollichma“ bleibt das Prädikat: Gut, aber phrüher waren sie besser! Und zählen können sie auch nicht: 9 + 3 = 12, auf dem Album sind aber 13 Songs!

Die bildungsbürgerliche Dreigesang-Rezension

Schlafwandlerisch wandelt die Gruppe Phrasenmäher von ihrer rhythmusdominierten Unterhaltungsmusik in die kulturell anspruchsvollen Gefilde. Auf dem neuesten Werk blitzt der präzise Dreigesang der Hildesheimer in der Tradition des Thomaner Chors zwar nur für kurze Momente des Glücks in Refrains auf, doch in den wenigen feinen Augenblicken lässt die tönerne Pracht ihres Dreiklangs aufmerken. Die drei Stimmen verschmelzen zusammen mit der Musik bei schüchternem Piano bis hin zu mächtigem Fortissimo zu einem ernstzunehmenden Kollektiv der ernsten und unterhaltenden Musik.

Die unkreative Kreativitäts-Rezension

Es scheint nur ein Wort, eine Geste oder ein Ereignis zu reichen, um eine Songidee von Phrasenmäher zu bekommen. Beim Konzert in München hatte ein Besucher ein Superman-T-Shirt, was sofort in den nächsten Song eingebaut wurde. Spontan wurde außerdem ein Song im Stil der Band „Echt“ improvisiert. Bei einem früheren Konzert auf dem Tollwood-Festival bastelte die Band bei einem Tonproblem einen Song rund um ein vom Publikum vorgeschlagenes Wort: „Petersilie“. Schließlich verblüfften sie bei Stefan Raabs „TV Total“ mit einem spontan gereimten Song. Dass das neue Album soviele Musikstile in sich vereint, ist somit nur eine der Folge der unbändigen Kreativität. Die 90-Minuten-Langversion des Songs „Zwei Jahre in“ (Weltrekord) ist dabei vorläufiger Höhepunkt. Was für eine Arbeit muss das gewesen sein! Phrasenmäher möchten sich wohl nicht von der engstirnigen Welt einengen lassen und machen und probieren alles. Man möchte eigentlich alles kaufen, was Phrasenmäher machen, nur um zu sehen, was sie sich diesmal haben einfallen lassen.

Die ehrliche-Mann-von-der-Straße-Amazon-Rezension

Abzocke!!! 13 Euro für eine CD ist zu teuer. Lieferung kam erst nach 4 Tagen an! Ein Stern!!1!

Die feinsinnige Geschichtenerzähler-Rezension

Auch auf dem neuesten Album erzählen Phrasenmäher wieder auf leicht ironisch-liebevolle Art Geschichten von Menschen, Typen und Figuren. Da hängt in „Zwei Jahre in“ der gut gestylte Hip-Hopper die Markenjacke an die Wand und ruft noch kurz beim wirklich authentischen Indierocker an, um Skat zu spielen. In „Zwing“ spricht zu uns ein freiheitsliebender und beziehungsscheuer Mensch, in „Resetknopf“ wird Backpulver geschnieft, Prittstift unter die Vorhaut geschmiert und auch sonst viel Unsinn aus der Pubertät versucht, rückgängig zu machen. „Karaokebar“ zeigt ein herrlich trübsinniges Szenario einer Karaokebar und „König Gewöhnlich“ skizziert die traurig-langweilige Biografie des Mittelmaßes. Der beste Songtext „Überregional bekannt“ erzählt liebevoll die Geschichte eines Musikers, der auf den großen Erfolg hofft, aber stattdessen in kleinen Spelunken gegen Zigarettenqualm und desinteressiertes Publikum, das lieber bekannte Hits statt seiner Songs hören möchte, anspielt. Hier beobachtet und beschreibt jemand die Menschen ganz genau.

Die lustige Humoristen-Rezension

Wie die Gutelaune-Raketen von Phrasenmäher einen Spruch nach dem anderen raushauen ist, das muss man zugeben, leider geil. Wahnsinnig lustig, wie bei „Autokorrektur“ von der Autokorrektur-Funktion falsche Textfragmente eingebaut wurden und beispielsweise aus dem Wort „Tour“ „Tourette-Syndrom“ wird. Lachsalven ernten die Spaßbomben, wenn der Reggae-Song über den Sommer unter Verachtung aller Stilgesetze in einem Rammstein-Refrain mündet: „Verrrriegelt die Tür, derrr Sommer kommt“. Fast so lustig wie Heino, der vor kurzem Rammstein coverte!

Die megatypisch differenziert intellektuell anspruchsvolle Facebook-Rezension

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Die ehrliche verUNsicherung.de-Rezension

„9 Hits, 3 Evergreens“ ist nicht nur ein ironischer Titel, Phrasenmäher meinen es ernst. Phrasenmäher wollen die große Bühne mit diesem ersten bei einem Major-Label (Sony) erschienenen Album erklimmen. Die erste Single „Sollichma“ klingt dementsprechend mitsingtauglich und auf Radiotauglichkeit getrimmt, der feine Humor, für den sie bekannt sind, blitzt kaum raus, statt liebevoll gezeichnete Geschichten zu erzählen wird „Lady Gaga“ in den Refrain eingebaut. Ganz allgemein ist die Single etwas überproduziert. Auch dem Rest des Albums fehlen ein paar Ecken und Kanten in der Produktion. Dennoch ist nach dem letzten Studioalbum „Sehr verstörte Damen und Herren“ (2011), das aufhorchen ließ, wieder einmal ein gutes Album gelungen. Der Überschwang an Kreativität, die Lust am Spielen, die Musikalität und die exzellenten Texte mit ihrem feinen Humor lassen sich in dieser Dichte nur selten woanders finden. Angesichts der Stilvielfalt, durch die jeder Song komplett anders klingt und voller toller Ideen in der Produktion steckt, möchte man Phrasenmäher „Fokussiert Euch!“ zurufen. Denn so manche tolle Idee in den Texten geht durch die musikalische Umsetzung, die den Text bewusst auf einer Metaebene konterkariert, unter. Phrasenmäher ist so eine Band, die irgendwann das perfekte Liebeslied schreibt, es aber eigentlich ironisch meinte. Etwas weniger in die Breite zu gehen hätte dem Album gut getan. Die stärksten Momente haben Phrasenmäher jedenfalls immer dann, wenn sie Geschichten erzählen wie in „Überregional bekannt“, „Zwei Jahre in“ oder „König Gewöhnlich“. Das perfekte Album von Phrasenmäher liegt noch vor uns. Ich freue mich darauf.

Und nach Schreiben dieser 9 Rezensionen fällt mir endlich ein, wie ich Phrasenmäher mit wenigen Worten beschreiben kann: Sie sind Phrasenmäher. Das muss reichen.

Disclaimer: Sören von Phrasenmäher war in Folge #9 des EAV-Podcasts zu Gast.

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 01.03.2014