Von Atomreaktoren, Handy-Knipsern und Turnsäckchen
Drei Konzerte besuchte ich im Jahr 2005: Eines der letzten Best-of-Konzerte im Münchner Circus-Krone-Bau, die öffentliche Generalprobe der neuen Show „100 Jahre EAV ... Ihr habt es so gewollt!“ in Feldbach (Steiermark) und einen der größeren Auftritte (Essenbach, Niederbayern). Drei Konzertberichte sind ein bißchen viel, deshalb habe ich dank überragender Parallelwelten-Technik einfach alle drei gleichzeitig mit einer Zeitmaschine besucht.
Gleich kommt sie, die EAV. Die Manege ist voll, die Ränge ebenso. Was für ein Zirkus! Jetzt kommt Christian Ude, der Münchner Oberbürgermeister und hält eine Rede. Von wegen, es ist sein Doppelgänger, der Nockherberg-Autor Uli Bauer. Eigentlich ist er ein toller Kabarettist, hat aber wohl seine Sparwitz-Kiste rausgekramt und sich zudem musikalisch eher an DJ Ötzi als an DJ K. Wecker mit seinem „O'zapft is-Song“ orientiert. Welch Erholung, jetzt geht er.
„E-A-V“ skandiert die Menge. Doch noch ist es nicht so weit. Es muss erstmal „Morning-Man-Mike“ seine Zoten in die Manege lachen - er fand sie lustig. Und dann erfüllt sich der im standesgemäßen 80er-Jahre-aufgestrickte-Ärmel-Polyester-schön-bunt-Sakko auftretende Radio-Moderator von Radio Gong 96,3 einen, wie er sagt, Herzenswunsch und nimmt ein Bad in der Menge. Das Stage Diving funktioniert sogar. Während dieses Schauspiels habe ich Zeit, mir meine unmittelbaren Nachbarn anzusehen. Links neben mir sitzt ein junger Mann, der ständig mit seiner Handy-Kamera Fotos vom Geschehen auf der Bühne schießt, vor mir hat gerade eine ältere Dame mit ein paar Kindern Platz genommen. Oma und ihre Enkel gehen auf ein Konzert, die EAV ist wirklich generationsübergreifend beliebt.
Während ich in München eine qualvolle Dreiviertelstunde Vorprogramm über mich ergehen lassen musste, bestritt ich die Stunde vor dem Auftritt in Feldbach mit der Suche nach der „Mehrzweckhalle“. Diese Halle erfüllt viele Zwecke, auch den Zweck des Nicht-Findens. Ich fand zumindest keine Beschilderung. Tatsächlich sah der Haupteingang wie der Zugang zu einer schulischen Turnhalle aus - klein und fein. Ich war übrigens nicht der einzige Suchende. Alle paar Meter fragte mich wahlweise ein brechend volles Auto, ein Radfahrer oder eine Gruppe Jugendlicher nach dem Weg. Wir beschlossen, die Reise gemeinsam zu bestreiten. Schließlich halfen uns ein paar freundliche Gendarme zum Ziel zu kommen.
Essenbach hingegen war nicht schwer zu finden. Die Wegbeschreibung: Immer in Richtung Ohu fahren, wo sich die Kernkraftwerke ISAR I und II befinden. Die Halle hat Sichtkontakt zu den Atomreaktoren und befindet sich schräg gegenüber vom Friedhof.
Na was ist denn das? Fällt da tatsächlich das Wort „EAV“ im Circus Krone? Die Masse jubelt. Gleich wird sie kommen, sagen die Moderatoren. Doch erstmal muss Modern Talking auftreten. Ja, wer gute Musik hören will, muss leiden und noch einmal Doppelgänger sehen und hören. Das Volk jedoch will die „E-A-V“.
Feldbach, das war mir klar, wird Doppelgänger-frei sein. Ich sah zwar Andy Töfferl und Nino Holm, aber das waren die Echten. Obwohl ich mir beim Töfferl erst nicht sicher war, weil er ja jetzt das Haar kurz trägt - eine Allerweltsfrisur, wo bleibt denn die Matte? Ich bin erschüttert! Dafür reicht nun Nino Holm's Haupthaar bis über die Schultern. Doch Frisuren waren nur kurz Thema beim Smalltalk mit einigen anwesenden Fans, viel interessanter war es, die Bühne zu inspizieren. Alles in rot gehalten, Balustraden, schöne Stoffbahnen im Hintergrund. Das sah vielversprechend aus.
Die frisuralen Experimente von ehemaligen EAV-Mitgliedern waren in Essenbach natürlich nicht einmal einen Satz wert. Überraschend war vielmehr, wie viele Leute in diese Halle passten. Immerhin war sie ja nicht bestuhlt, ebenso wie in Feldbach, und das konnte nur Gutes für die Stimmung heißen. München war auch nicht bestuhlt, allerdings waren die Ränge bebankt. Ich, Geizhals der ich bin, musste mich mit einem bebankten Sitzplatz zufrieden geben und von höchsten Höhen aus auf das Geschehen auf der Bühne einwirken - und zwar mit Stimmung und Applaus.
Während ich mich in Essenbach durch die Menge wieder in die ersten Reihen mit Getränken im Gepäck durchschlug (ich übernahm Botendienste) und die EAV immer noch nicht losmusizierte, war in München endlich Zeit, dass die Moderatoren, die Doppelgänger und die DJs endlich den Platz für die österreichische Verunsicherung frei machten. Als die Burschen die Bühne betraten und das obligatorische Hip-Hop-Medley intonierten, stutzte ich ein bißchen. Fehlt da nicht der große, langhaarige Kerl an der Klampfe? Tatsächlich. Thomas Spitzer war nicht da, obwohl er sang - aus der Konserve eingespielt. Später erklärte Klaus Eberhartinger, Spitzer sei im Krankenhaus wegen einer Kolik.
Apropos Magenschmerzen: Die konnte man vor Aufregung schon fast kriegen in Feldbach. Immerhin war es die öffentliche Generalprobe des neuen Tour-Programms „100 Jahre EAV ... Ihr habt es so gewollt!“. Nach so vielen Jahren endlich wieder eine Show! Und tatsächlich begann sie so wunderbar, dass einem der Magen vor Rührung grummeln konnte: Tom marschierte zur Rosa-Roter-Panther-Titelmelodie auf die Bühne und malte ein Grafitti mit der Aufschrift „1905“ live auf der Bühne. Als dann schließlich Klaus und die Band „Wo ist der Kaiser?“ in K&K-Uniform spielten, wurde es einem direkt warm um's Herz. Man könnte meinen, dass sich dieser Effekt in Essenbach bei mir nicht mehr einstellte - doch weit gefehlt. Es war auch in Niederbayern ein toller Moment.
Von einem ausgefeilten Tour-Programm, einer besonderen Licht-Show und verunsicherten Kostümen und Requisiten konnte ich in München nur träumen. Schließlich war es eines der letzten Auftritte mit dem „Best-of-Programm“. Und noch dazu ohne Tom. Trotzdem war es ein Erlebnis. Mein letztes Konzert war 1999 im Möbelhaus Biller. Die EAV trat vor Hendl-mampfenden Schrankwand-Käufern (KOSTENLOSER EINTRITT!) in einer Bierzelt-ähnlichen Halle auf. Und nach diesem Höhepunkt der verunsicherten Karriere war es eine Wonne, zu sehen, wie sehr das Publikum die EAV im Circus Krone mochte und wie begeistert es war. Und die EAV gab ihr Bestes - im Rahmen der Umstände. Auch der junge Mann neben mir gab alles - er schoss Fotos mit seiner Handy-Kamera bis die Speicherkarte qualmte. Das Konzert an sich schien ihn nicht zu interessieren, vielleicht störte ihn die Musik beim Knipsen? Die Oma und ihre Enkel hingegen gingen mit wie Wahnsinn. Ich wage zu sagen: Sie war kurz davor, zu moschen und zu pogen.
Dass es nur eine Generalprobe war, betonte Klaus Eberhartinger immer dann, wenn er den weiteren Ablauf nicht mehr wusste und er deshalb in das Skript schauen musste. Und das nicht zu selten. Macht aber nichts. Es ging ja das meiste recht glatt. Nur die Pistole vom singenden Only-You-Frosch hatte einmal Ladehemmung: „Na, wos is? Gibt's kaan Schuss? Na ja, is ja Generalprobe!“, meinte der Spitzer-Bruder, welcher mit seinem Gesang wirklich positiv überraschte. Auch beim einzigen Unplugged-Teil der Show, beim „Alk-Medley“ mit Eierfranz und sonstigen Franzen, merkte man die eine oder andere Unsicherheit in der Band. Schade nur, dass diese Nummer aus Zeitgründen bei den folgenden Konzerten rausfiel.
In der Halle in Sichtweite der dampfenden Kühltürme von ISAR-I und ISAR-II lief hingegen alles perfekt. Perfekter Sound, perfektes Licht (nur der Fata-Morgana-Trick klappte nicht), perfektes Publikum, perfekte Stimmung. Wunderbar war es, mein bisher bestes EAV-Konzert.
In München tobt gerade der Saal beim „Austropop-Sanatorium“. Dass die beste Stimmung beim Parodieren und Spielen von Liedern anderer Künstler herrscht, ärgert mich immer wieder. Leider ist das Sanatorium bei allen süddeutschen und österreichischen Gigs auch Bestandteil des neuen Programms. Die Oma vor mir lacht sich jedenfalls schief. Am lautesten werden ihre Lacher allerdings bei „Ein Herz für Tiere“. Und der Handy-Fotograf lässt den Auslöser glühen, ich höre bei jeder neuen EAV-Verkleidung das Soundfile, das einen Fotoapperat imitieren soll, aus dem Lautsprecher seines Telefons. Ich glaube, eine Regung in seiner Mimik gesehen zu haben. Es gefällt ihm wohl.
Das Feldbach-Konzert neigt sich mitterweile dem Ende zu. Fast drei Stunden schlägt's, Donnerwetter, welche Ausdauer. Und Klaus gab sogar seinen besten Märchenprinz-Tanz zum besten. Glücklich und beseelt verlasse ich die Mehrzweckhalle. Erst suche ich noch die Umkleide, um mein Turnsäckchen zu holen, bis ich schließlich raffe, nicht in meiner Schul-Turnhalle zu sein.
Der Abend im Circus Krone ist noch nicht beendet. Wieder einmal kommen Radio-Moderatoren auf die Bühne und reden Blödsinn. Schließlich geht es ja noch weiter, die Spider Murphy Gang kommt noch. Deshalb musste die EAV auch das Programm kürzen. Allerdings haben sie offenbar wegen der guten Stimmung eh schon länger als geplant gespielt. Ich war noch nie auf einem Spider Murphy Gang-Konzert, mag aber die bayerische Rock'n'Roll-Band eigentlich ganz gern. Und so war deren Auftritt auch tatsächlich ein passender Ausklang. Wer hätte das gedacht? Die Oma und ihre Enkel waren aber gelangweilt und verließen frühzeitig den Circus-Krone-Bau.
Das waren also die drei Konzerte, in der intergalaktischen Konferenzschaltung durch alle Zeiten in Verachtung jedlicher grammatikalischen Regeln: 2005 sah ich eines der letzten Best-of-Konzerte, die erste Aufführung des neuen Programms und eine sensationelle Darbietung vor 1500 tobenden niederbayerischen Niederbayern (Klaus: „Können wir Euch mitnehmen?“). Soviel „E-A-V“ auf einmal kann man doch nicht ertragen, oder? Falsch. Die nächsten Fahrten zu Verunsicherungskonzerten sind für mich schon in Planung. Und wann kommst DU zur EAV? Der Handy-Knipser, die Oma, ihre Enkel und ich können Dir das aktuelle Programm wärmstens empfehlen.
Autor: Alexander Mayer
Letzte Änderung: 12.11.2005