Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Bericht: Jenseitig von Eden ist Gott ein Pärchen

Ein beherztes Klopfen an den halb runtergeschobenen abgegriffenen Holzschieber, der das Fenster zum Kabuff der Kartenverkäuferin im Münchner Schlachthof nur ein paar Faust breit offen ließ, zeigte erstmal keine Wirkung. „Hallo?“, fragte ich in den Verschlag, wohl wissend, dass jemand da sein musste, da ich es geschäftig rascheln hörte. Da tippt doch jemand! Keine Reaktion. Als Freund der Verunsicherung ist man Geduld gewohnt, also werde ich auch diese Hürde meistern. Schließlich lohnt es sich, denn im Jahr 2014 ist Eik Breit (Gründungsmitglied, ehemaliger Bassist und Bühnendarsteller der EAV) mit seiner Partnerin Ursula Bruck und seinem Programm „Jenseitig von Eden“ zum ersten Mal in Deutschland auf der Bühne zu sehen. Den Auftritt im Wirtshaus des legendären Münchner Schlachthofs am 14.06.2014 wollte ich mir nicht entgehen lassen. Es war erst der zweite Auftritt in Deutschland mit dem Programm. Am Vortag trat er in Perlesreut auf. Zwischen mir und dem Wiedersehen mit Eik Breit war also nur noch der Holzschieber mit der abblätternden Farbe und eine kontaktscheue Kartenverkäuferin.

Als ich eine Hand durch den unteren Spalt greifen sah und sich der Holzschieber nach oben bewegte, nutzte ich die Gunst der Stunde und erzählte der Dame meine Geschichte. Dass ich die Karten auf der Website bereits reserviert hätte und dass ich sie nun abholen und bezahlen wollte, da das Bezahlen und Schickenlassen wahnsinnig umständlich („Verrechnungsscheck“) und teuer sei. „An Guadn!“ hätte ich noch hinzufügen sollen, denn die Kartenverkäuferin hörte sich meine Ausführungen kopfnickend, mit 100g Aufschnitt zwischen zwei Semmelhelften im Mund und mit der rechten Hand kreisend an. Sie nahm den Mund recht voll, was sie aber nicht davon abhielt, mein rechtmäßiges Anliegen pflichtbewusst zu prüfen und zu bearbeiten. „Name?“ hörte ich zwischen der Salami und den Gürkchen raus, was ich wahrheitsgemäß beantwortete. Immer noch erstaunt ob des günstigen Preises reichte ich die 12 Euro durch das Fenster und bekam dafür sogar eine schöne gedruckte Karte. Ziel erreicht, die Karte gehörte mir.

Am Samstag, den 14.06.2014 hatte es Eik Breit sicherlich nicht leicht, dagegen anzuspielen, dass er relativ unbekannt in bayerischen Gefilden ist und dass zeitgleich ein Fußballspiel war. Die Fußball-WM war gerade gestartet, das Wirtshaus war vielleicht zur Hälfte gefüllt. Das hat aber der Spiellaune keinen Abbruch getan. Der hochgeschätzte Kollege Matthias vom EAV-Archiv und ich saßen natürlich direkt vorne an der schmalen Bühne, die mit einer Umkleide, einem Tisch, zwei Klappstühlen und einem Platz, an dem der Musiker Roland Wesp am Keyboard Platz nahm, gut gefüllt war.

„Jenseitig von Eden“ heißt das Bühnenprogramm von Ursula Bruck und Eik Breit und der Untertitel „mitten in den 80ern“ verrät schon, dass viel Musik der 80er zu hören sein wird. Der Abend begann mit einem Medley, einer Art musikalischer Schlagabtausch in Interaktion mit dem Publikum. Das Pärchen himmelt sich an, Eik flirtet mit einer Zuschauerin (mit „Küss die Hand schöne Frau, ihre Augen sind so blau“ von der EAV), Ursula ist sauer, Eik will sich entschuldigen. Der ganz normale Beziehungsalltag, bei dem die Dialoge durch Sequenzen bekannter Lieder dargebracht wurden. Eine ziemlich aufwändige musikalische Musikrevue, aber durchaus ein stimmiger Auftakt.

Die Liebe als Triebfeder allen menschlichen Tuns, als Grundlage allen Übels und aller Freude, das ist das Thema, das den gesamten Abend durchzieht. Mann und Frau, so unterschiedlich wie Sonne und Mond. Aber Gegensätze, so sagt es der Volksmund, ziehen sich ja bekanntlich an. Und irgendwie wurde die Frau ja aus der Rippe des ersten Manns geschnitten. So erinnert sich jedenfalls Gott. Und siehe da: Gott ist gar kein alter Mann mit Rauschebart. Gott ist Mann und Frau. Gott ist ein Pärchen, das nun die Bühne in OP-Kleidung betritt und sich darüber streitet, wer jetzt zuviel Rippen bei wem eingebaut hat und wer was aus der Rippe schneidet. Und sich fragt, was die Menschen da eigentlich in dieses Buch, dieser — ah ja, Bibel heißt es! — Bibel geschrieben hätten.

Getreu dieses epischen Ansatzes folgte nun eine Aneinanderreihung in sich geschlossener humorvoller Szenen mit Begegnungen von Mann und Frau dargebracht in Dialogform. Manchmal wurden auch bekannte Songs mit eigenen Texten dazwischen gesungen. Wir sehen Pärchen, die sich nichts mehr zu sagen haben, weil sie keine gemeinsamen Interessen haben. Wir sehen Männer, die dumpfen Tussis nachlaufen, Frauen, die Machosprüche abperlen lassen, im Zweifelsfall den Macho aber dem Netten vorziehen. Wir sehen Männer, die lieber „im Öl“ sein wollen als mit der Frau zu sprechen, und naive Frauen aus dem Ostblock, die einem Zuhälter in die Hände fallen oder ein Fremdwort nach dem anderen falsch verwenden.

Wie es nicht anders sein kann, war eine der Nummern, die beim Publikum am besten ankam, ein EAV-Text: Es war der ins Altersheim gekommene Macho, der „Märchenprinz“ in der Version des Albums „Let's Hop“ zum besten gab (von Eik Breit „Geriatrieversion“ getauft). Leider sang Eik Breit den Song nicht, sondern sprach ihn nur zur Melodie, die auf dem Keyboard gespielt wurde. Neben „Küss die Hand, schöne Frau“ und „Märchenprinz“ wurde außerdem noch der EAV-Song „Go Karli Go“ kurz angespielt. Und als zu Ende des Programms die Nummern etwas nachdenklicher wurden, ein trunkener Ehemann zu Tom Waits „The Piano has been drinking“ über sein Leben sinnierte, war der Moment für den EAV-Klassiker „Morgen“ gekommen. Den Abend beschloss wieder Gott in Form von Mann und Frau und fragte sich, was er und sie da eigentlich angerichtet hat mit den Menschen.

Es ist das erste Mal, dass ich Eik Breit persönlich auf der Bühne gesehen habe. Dabei ist mir aufgefallen, welch schauspielerisches Darstellungstalent und musikalisches Gespür er hat. Ebenso wie bei Ursula Bruck wurde alles reduziert und nicht boulevardesk übertrieben gespielt. Eik Breit könnte eine Bereicherung für die heutige EAV sein und das darstellerische Element der EAV wieder beleben. Wenn, würde, hätte, denkste... Das Programm jedenfalls war kurzweilig, unterhaltsam und voller feinem Humor mit nur wenig Klaumauk. Zudem war es eine gute Mischung aus Musik und Text. Nach der Veranstaltung hatte ich die Ehre, mit Eik Breit noch ein bisschen zu sprechen und holte mir dabei eine Unterschrift von ihm auf dem Textheft des ersten Albums der EAV ab.

Als ich beim Verlassen des Schlachthofes am Kartenverkäuferinnen-Verschlag vorbei ging, hatte ich plötzlich spontan Lust auf eine Wurstsemmel. „Name?“ meinte ich aus dem verrammelten Verschlag vernommen zu haben. Diese Frage musste wohl jenseitig von Eden gekommen sein. Da wo man Karten online kaufen und sich zuschicken lassen kann. Kollege Matthias vom EAV-Archiv meinte übrigens, man hätte sich bei Eventim Onlinetickets kaufen können. Diesseitig.

Fotos: © Alexander Mayer

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 19.06.2014