Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Damenbesuch

Es wird Zeit, privat zu werden. Ich hatte Damenbesuch. Sie heißt Molina (Freunde dürfen sie Molly nennen) und ist eine charmante Italienierin von adligem Geschlecht mit kurzen, schwarzen Haaren und mahagoni-braunen Augen. Molly ist eine Dackel-Dame mit Charakter.

Am liebsten mag sie gutes Essen und eine ihrer besten Eigenschaften ist die Toleranz. Wer ihr das Essen zubereitet, ist ihr egal. Hauptsache es ist lecker, reichlich und kein Diät-Futter. Diese trockenen Müsli-Brocken isst sie mit Verachtung, aber mit Würde: Sie nimmt ein Maul voll, trabt zu ihrem Frauchen, legt die Happen auf den Boden und isst jedes Stückchen demonstrativ mit strengem Blick zur Nahrungs-Zubereiterin. Nach dieser Lektion für ihr Frauchen, die sie sich aber wirklich mal verdient hat, bewegt sie sich wieder zum Fressnapf, um den Rest zu vertilgen. Wenn Molly nicht isst, sucht sie sich entweder einen Menschen, der sie streichelt, oder einen kleinen Streifen Sonnenlicht, der durch das Fenster scheint und ihr schwarzes Fell aufwärmt.

Manchmal, wenn EAV-Musik aus den Boxen schallte, spürte ich, wie meine Füße angenehm warm wurden. Molly meinte wohl, dass auch ich eine gute Wärmequelle bin. Oder wollte sie mich wärmen? Jedenfalls legte sie sich am liebsten auf meine Füße, wenn die Verunsicherung musizierte. Molly hat einen guten Musikgeschmack.

Autor: Alexander Mayer

Letzte Änderung: 21.08.2006